Historie, Herkunft und Bedeutung
Begriff für den waffenlosen und Nicht-Kriegswaffen (also Kurzwaffen, Messer, Dolche usw.) behandelnden Teil der Schulen historischer japanischer Kampfkünste (Koryū, jap. 古流, dt. „alte Schule“). In der Edo-Periode (1603-1867) gab es über 700 dokumentierte Ryū (Schulen/Stile). Abnahme der Bedeutung in der Meiji-Periode, als Japan sich modernisierte, dem Westen öffnete und eine längere Zeit der Abwesenheit großer Kriege herrschte (ab 1868).
Jūjutsu in diesem Sinne ist in Europa so gut wie gar nicht zu finden und nicht zu verwechseln mit dem hier angebotenen Jiu-Jitsu. So gibt es z.B. im Jūjutsu nicht das farbige Gürtelsystem, was uns aus anderen asiatischen Kampfkünsten vertraut ist - das wurde zuerst eingeführt im Kodokan Judō.
Judō (Japan, ca. 1882):
Jigoro Kano war Schüler mehrerer Koryū ab 1870, insbesondere Tenshin-Shinyo Ryū und Kito Ryū. In beiden erlangte er die Lehrbefähigung. 1882, nach vier Jahren Training in den Koryū, öffnete Kano eine eigene Schule, das Kodokan. Kano legte Wert auf Techniken, die sich mit vollem Widerstand und hartem Kontakt trainieren ließen, um realistisches Kämpfen lehren zu können und benutzte in besonderem Maße, aber nicht nur (!) Wurf- Würge und Hebeltechniken. Kano nannte sein System Judō, es wurde in der Anfangszeit von Unkundigen im Ausland aber auch als Kano Jiu-Jitsu bezeichnet (siehe BJJ).
In späteren Jahren fand übrigens (Quelle: Gracie, Renzo und Danaher, John: Mastering Jiu-Jitsu) eine weitere Koryū ihren Weg ins Judō: Fusen Ryū, welches starken Wert auf Bodenkampf legte und in sportlichen Kämpfen mit dem Kodokan einige Erfolge errang; über Mataemon Tanabe, der daraufhin auch im Kodokan unterrichtete.
In Europa herrscht heutzutage hauptsächlich (aber nicht nur) das Wettkampf-Judō vor, das z. B. keine Distanzangriffe (Schläge, Tritte) beinhaltet. In Deutschland führt der Deutsche Judō Bund im Rahmen eines Selbstverteidigungsprogramms
Schlag- und SV-Techniken aus anderen Kamp- und Selbstverteidigungssystemen ein. Das traditionelle Judō von Kano hingegen enthält seit jeher Schlag-, Stoß-, und Tritttechniken (sowie auch Waffentechniken), es wird in Deutschland von einem vergleichsweise sehr kleinen Kreis betrieben. Bekannte Vertreter dieser Richtung sind z. B. Tokio Hirano, Frank Thiele und Tom Herold.
Jiu-Jitsu (Deutschland, 1906):
Der deutsche Kaufmannssohn Erich Rahn lernte mutmaßlich von dem nach Deutschland gekommenen Japaner Katsukuma Higashi (ein Judōka des Kodokan Judō!) und eröffnete noch im selben Jahr (1906) im Alter von 21 Jahren in einem Hinterzimmer einer Kneipe in Berlin-Mitte die erste deutsche Jiu Jitsu-Schule. Dabei fanden auch Ringergriffe, Boxschläge und Kraftanwendung Eingang in das Rahn-Jiu Jitsu. Damit beruht das Jiu-Jitsu von Erich Rahn eigentlich (genau wie übrigens auch das Brazilian Jiu-Jitsu) nicht auf Jūjutsu, sondern auf dem Kodokan Judō (welches selbst wiederum sehr wohl als Fortführung des Jūjutsu gesehen werden kann). Wie erwähnt, wurde Kanos Judō von Dritten im Ausland eben auch als Jiu-Jitsu bezeichnet. (u.a. z.B. Volksbrockhaus von 1938). In welchem Ausmaß Rahn tatsächlich von Higashi gelernt hat, ist nicht belegt und bekannt, ihm wird u. a. vorgeworfen, er hätte die Techniken nicht von Higashi persönlich, sondern aus einem
Buch von diesem erlernt.
Durch Vorführungen und Kämpfe wurde die Polizei auf Rahn aufmerksam und am 30. Juni 1910 führte Rahn im Königlichen Polizeipräsidium das Jiu Jitsu vor. Daraufhin wurde ihm die Durchführung der neu angeordneten Jiu-Jitsu-Ausbildung der Berliner Kriminalpolizei und später auch der Schutzpolizei übertragen. Obwohl 1930 in Deutschland bereits 110 Jiu Jitsu-Vereine registriert waren, ging die Tendenz nun vom Jiu-Jitsu zum von Kano entwickelten Judō hin. 1933 gründete Alfred Rhode die Europäische Judō-Union (EJU), wodurch Jiu-Jitsu und Judō erstmals organisatorisch voneinander getrennt wurden. Weiter entwickelte sich auch das koreanische Hapkidō aus der alten japanischen Kampfkunst, da der Begründer des Hapkido selbst einst Jiu-Jitsu in Japan lehrte.
Quelle: Jiu-Jutsu Technikfibel (Spickhoff / Kühn / Hahner / Jänicke)