Etikette im Jiu-Jitsu
Die traditionellen Kampfkünste haben eine teils Jahrhunderte alte Entwicklung durchlebt und dennoch werden einige der historischen Ursprünge, Riten und allgemeines Verhalten heute immer noch praktiziert. Die Wahrung bestimmter Traditionen und Verhaltensarten stellt einen fundamentalen Teil des Jiu-Jitsu dar, mit dem der Stil dieser Kampfkunst unterstrichen und jeder Jiu-Ka seinem persönlichen Stil wiederum Ausdruck verleiht. Das Befolgen einer Etikette verhilft dabei zu einem besseren Verständnis des Stils und zur inneren Reifung.
Die Dōjō-Etikette ist ein Leitfaden, der auf der einen Seite die grundsätzlichen Verhaltensweisen aufzeigt, die ein Kampfkünstler für ein gesittetes Miteinander verinnerlichen soll. Zum anderen gibt sie gewisse Regeln und Rituale wieder, die innerhalb der Kampfkunstschule zur Wahrung der altjapanischen Tradition niedergeschrieben wurden und von Jedermann zu berücksichtigen sind. Ein Verstoß gegen diese Etikette wird als sehr unhöflich erachtet und oft auch als Zeichen mangelnden Respekts gegenüber dem hiesigen Meister gesehen. Die Feinheiten der Etikette können in den jeweiligen Dōjōs voneinander abweichen. Insbesondere die Begrüßung fällt in vielen Dōjōs unterschiedlich aus. Bist du mit den örtlichen Gegebenheiten nicht vertraut, sprich den Trainer oder die Trainierenden vor dem Training dahingehend an.
Grundregeln
- Grundsätzlich ist die Ankunft so zu planen, dass ausreichend Zeit zum Umziehen und gemeinsamen Aufbau der Matten bleibt.
- Kommt man zu spät, ist der Lehrende mit einer Verbeugung anzugrüßen. Anschließend begibt man sich an den Mattenrand, führt die anfängliche Angrüßzeremonie eigenständig durch und nimmt dann am Training teil.
- Die Matte wird ausschließlich barfuß bzw. mit Mattenschuhen betreten.
- Saubere Hände, Füße und kurz geschnittene Nägel sowie ein insgesamt gepflegtes Erscheinungsbild sind eine Grundvoraussetzungen für die Teilnahme am Training.
- Vor und nach jedem Technikblock verbeugen sich die Trainingspartner voreinander.
- Falls man während des Trainings die Matte / den Raum verlassen muss (z. B. für den Gang zur Toilette), hat man dies dem Lehrenden mitzuteilen.
- Während einer Pause oder wenn der Lehrende etwas zeigt geht der Schüler in den knienden Fersensitz (Seiza) über. Kann man aufgrund von Verletzungen oder anderweitigen Einschränkungen nicht lange in diesem Sitz verharren, darf die Position gewechselt werden. Grundsätzlich ist jedoch darauf zu achten, dass die Fußsohle nicht in die Richtung des Lehrenden zeigt. Ein lässiges Hinlegen jedweder Art ist untersagt.
- Essen und Trinken ist auf der Matte nicht gestattet.
- Verletzungen, Krankheiten oder sonstige Einschränkungen sind dem Lehrenden vor dem Training mitzuteilen.
- Schlägt der Trainingspartner (Uke) ab (leichtes Klopfen mit der flachen Hand am Boden, dem eigenen Körper oder Toris Körper) ist die die Technik sofort zu unterbrechen. Diese Geste symbolisiert das Erreichen Ukes Schmerzgrenze und dient
der Vermeidung von Verletzungen. Außerdem wird Tori so deutlich, wann die eingesetzte Technik anfängt zu wirken. - Gibt der Trainer das Kommando „Yame“ oder „Mate“ ist die angefangene Technik zu beenden und anschließend auf die volle Aufmerksamkeit dem Lehrenden zu widmen.
An- und Abgrüßen
Beim Betreten und Verlassen des Dōjōs in Form einer Halle bzw. räumlichen Übungsstätte, ist am Eingang eine Verbeugung durchzuführen. Diese richtet sich stets an die Stelle, an der der Lehrende zum An- und Abgrüßen seinen Platz einnimmt. Das Betreten und Verlassen der Trainingsfläche (Matte) erfolgt für gewöhnlich ebenfalls mit einer Verbeugung zur Mattenfläche selbst. Eine Übungseinheit beginnt stets mit dem An- bzw. Abgrüßen, eine Zeremonie, welche von Schule zu Schule
unterschiedlich abgehalten kann. Folgende praktische Bestandteile und insbesondere die mentalen Aspekte sind jedoch charakteristisch:
- Alle Schüler (auch mittrainierende Dan-Träger) stellen sich in aus ihrer Sicht von rechts nach links absteigender Graduierung vor den Mattenrand auf und blicken zur gegenüberliegenden Seite zu den Lehrenden. Diese stellen sich meist nach selben Prinzip gegenüber auf Seiten des Shōmens auf. Das Shōmen bezeichnet die Vorderseite und im Regelfall gegenüberliegend des Einganges des Dōjōs.
- In manchen Dōjōs stehen Dan-Träger nicht gegenüber den Lehrenden, sondern im rechten Winkel zwischen Kyū-graduierten Schülern und Lehrenden.
- Vom Lehrenden folgt dann ein Angrüßen der Matte (Verbeugung), dem alle anderen folgen. Dies ist gleichzeitig das Zeichen zum gemeinsamen Betreten der Trainingsfläche.
- Anschließend gibt der Lehrende ein Kommando zum Abknien (z. B. „Seiza“ oder „Zazen“), woraufhin sich alle in den knienden Fersensitz begeben.
- Der höchst graduierte Schüler (oder bei gleicher Graduierung derjenige, der an erster Stelle sitzt) kündigt z. B. mit „Mokuso“ eine kurze Meditationsphase von ca. drei ruhigen Atemzügen an. Die Augen werden hierbei geschlossen. Ziel ist es, sich auf das bevorstehende Training mental einzustellen und den Alltag hinter sich zu lassen.
- Durch ein weiteres Signal vom Lehrenden („Mokuso Yame“) werden Ruhephase beendet und Augen wieder geöffnet.
- Im Anschluss kommt die Aufforderung der ersten Verbeugung im Sitzen „Otaga ni rei“ (oder nur „Rei“), woraufhin sich Schüler und Lehrende(r) kniend voreinander verbeugen. Trägt der Lehrende den 4. Dan oder höher, kann die kniende Verbeugung auch mit „Sensei ni rei“ angekündigt werden. Sollten zwei oder mehr Lehrende anwesend sein, verbeugen sich diese anschließend ebenfalls zueinander. Verbeugungen sind ruhig und respektvoll durchzuführen; ein lautes Ablegen bzw. Klatschen der Hände auf die Matte oder Oberschenkel ist zu unterlassen und der Blick ist leicht nach vorne gerichtet.
- Abschließend stehen alle nach einem Zeichen des Lehrenden der Gürtelstufe nach auf und warten ggf. auf das Zeichen „Rei“ zur erneuten Verbeugung im Stand.
Traditionelles Hintergrundwissen
Im Folgenden werden einige Punkte aufgeführt, die heute noch Bestandteil des Trainings sind, welchen Hintergrund sie haben und wie sie traditionell belegt sind. In den Koryū war es üblich, dass das Dōjō nicht nur der Ort der körperlichen Ertüchtigung war, sondern auch der Ort für die Erlangung der geistigen Reife und Entwicklung. Somit wurde das Dōjō nur barfuß betreten. Dazu trat man rückwärts an die Umrandung des Dōjō heran, streifte sich die Schuhe ab, drehte linksherum und betrat mit dem linken Fuß zuerst die Dōjō-Fläche. Hierbei handelte es sich oft um mit Reisstroh ausgelegte Innenhöfe der der jeweiligen Schulen, die recht groß ausgelegt waren, sodass man auch mit den Kriegswaffen wie Bogen,
Speer und anderen Langwaffen trainieren konnte. Hatte man das Dōjō betreten, verbeugte man sich vor dem Shōmen und begab sich zu seinem Platz. Der erste Schritt ein jeder Bewegung wird in den Koryū mit der linken Seite, der Herzseite ausgeführt, weil dort die Energie des Lebens steckt. Aus traditionellen Gründen ist der Obi (Gürtel) noch immer so lang, dass er zweimal um die Taille gewickelt werden muss und dann zwei gleichlange Enden ergeben sollte. Die gleichlangen Enden symbolisieren mit der einen Seite das Wissen und mit der anderen Seite das Können. Beides sollte immer auf einem Niveau liegen.Traditionell wurden zum Kimono mit Obi die wertvollen Zeremonieschwerter, bestehend aus Katana und Wakizashi getragen. Die Saya (Scheiden) der Schwerter waren kunstvoll lackiert und verziert. Beide Schwerter wurden auf der linken Seite durch die Gürtel gesteckt getragen. Das Katana zwischen Kimono und Obi und das Wakizashi zwischen den beiden Lagen des Obi, damit sie nicht aneinander reiben und zerkratzen. Das Tanto wurde im Kimono getragen. Bei dem Abknien und wieder Aufstehen geht traditionell zuerst das linke Knie auf den Boden und danach das rechte Knie. Hier ist der Hintergrund, dass der Samurai solange es geht in voller Kampfbereitschaft war. Durch das Abknien auf das linke Knie ist die Hüfte offen, sodass das Katana und das Wakizashi so unkompliziert wie im Stehen gezogen und der Erstschlag ausgeführt werden kann. Sobald das zweite Knie aufgesetzt wird, ist die Hüfte und damit auch die Wehrhaftigkeit eingeschränkt. Weiter wurde beim Abknien erst die Fußballen aufgesetzt, sich kurz abgesetzt, wieder etwas angehoben, die
Füße gestreckt und sich ganz abgesetzt. Hintergrund war die lange Tradition der japanischen Kriegsführung im eigenen Land. Man hatte sich auf den eigenen Inseln gegen „Ausländer“ abgeschottet und führte Krieg der einzelnen Clans untereinander um die Macht im eigenen Land. Hier gab es den Weg des Kriegers, das Bushidō. Es war Tradition, dass man gegeneinander Krieg geführt hat, aber sobald beide Kriegsfürsten ihre Füße beim Abknien lang gestreckt hatten,herrschte eine Kriegspause, in der man Konversation führte, die gelungen Taten des Gegners hervortat und gemeinsam Tee trank. Nach dem Aufstehen herrschte wieder Krieg. Das Aufstehen folgte in umgekehrter Reihenfolge, indem man die Fußballen aufsetze, sich erst mit dem rechten Fuß erhob und dann den linken Fuß aufsetzte, um so schnell es geht wieder kampffähig zu sein.
Quelle: Jiu-Jutsu Technikfibel (Spickhoff / Kühn / Hahner / Jänicke)