Graduierungen im Jiu-Jitsu
Die Vorbereitung zwischen den einzelnen Kyū-Graden beträgt mindestens 6 Monate. Die Vorbereitung auf die Dan-Grade entspricht dem jeweiligen Dan-Grad in Jahren. In manchen Verbänden ist darüber hinaus noch ein bestimmtes Mindestalter einzuhalten. Graduierungen oberhalb des 5. Dan können im Jiu-Jitsu nicht mehr durch Prüfungen erlangt werden. Diese werden ausschließlich aufgrund von besonderen sportlichen Leistungen, ehrenamtlichem Engagement und/oder anderweitig
außergewöhnlichen Leistungen zum Wohle der Kampfkunst verliehen. Eine höhere Graduierung als zum 10. Dan ist weltweit nicht möglich. Lediglich Professor Jigoro Kano, dem Begründer des Judō, hat man nach seinem Tode den 11. Dan verliehen. Ein 12. Dan ist für Menschen nicht erreichbar. Allein der Geist, die Idee der Kampfkunst, soll den 12. Dan tragen. Die beiden ideellen, weißen, aber doppelt so breiten Gürtel des 11. und 12. Dan – die ehrenhalber nur im Judō existent sind – weisen darauf hin, dass auch der größte Meister immer noch "nur" ein Schüler ist. Diese Vorstellung verfolgen auch bestimmte schwarze Gürtel, die im Inneren aus weißem Baumwollmaterial bestehen und außen mit schwarzer Naturseide umwoben sind. Im Laufe der Jahre nutzt sich die schwarze Seite nach und nach ab, sodass die weiße Baumwolle durchkommt und zeigt, dass ebendieser Schwarzgurt-Träger im Inneren auch „nur“ ein Schüler ist.
Entstehungsgeschichte der farbigen Graduierungen
Bevor es zu den Graduierungen, wie wir sie heute kennen, kam, gab es im Budō schon während der Edo-Zeit (1600-1868) eine Form der Kategorisierung vom Anfänger bis hin zum Meister. Zunächst gab es das Shoden, welche die erste Einweihung in die Tradition eines Ryū bestätigte. Darauf folgte das Chūden, die sogenannte mittlere Einweihung in den Stil. Als nächstes wurde der Schüler auf die Stufe des Okūden erhoben; von nun an befand er sich im Herzen der Kampfkunst und erhielt das Mokuroku (dt.: Verzeichnis; Aufstellung; Register; Katalog; Inventarliste. Inhalt; Liste; hier (wahrscheinlich): Katalog). Schließlich folgten Menkyo und Menkyo-kaiden, die beiden letzten Stufen, welche die vollständige Einweihung in alle Geheimnisse des Stils bedeuteten. Bei der Vergabe dieser Graduierungen gab es keine objektiven Maßstäbe, keine Prüfungsordnung, wie wir es heute gewohnt sind. Der Sensei entschied allein, wann ein Schüler so weit war und die nächste Stufe erreicht hatte; dies konnte von Stil zu Stil verschieden sein. Einheitlich war jedoch die Verbindung von technischen, mentalen und sozialen Elementen. Im Zusammenhang mit dieser letzten Auszeichnung ging die Vergabe eines Manuskripts (jap. Densho) einher, auf welchem die Geheimnisse der Kunst in Schrift oder Bild verschlüsselt gesichert wurden. Nur der Eingeweihte konnte die Zeichen entschlüsseln und somit die Geheimnisse der Kunst an seinen nächsten Meisterschüler weitervererben.
Nach der Meiji-Restauration 1868 begannen westliche Kulturen die japanische zu beeinflussen. In diesem Zusammenhang war es die Schwertkunst (jap.: Kenjutsu), die als erstes ein Graduierungssystem mit acht Rängen (jap.: Kyūdan) einführte. Es ist die Grundlage unseres heutigen Systems in Ränge, den Schüler- und den Meistergraden, auf Japanisch Kyū und Dan.
Der Hintergedanke bei diesem Graduierungssystem war und ist es, einen Lernanreiz zu schaffen, um sich stetig weiter zu entwickeln. Ferner soll dem Trainierenden deutlich gemacht werden, auf welcher Entwicklungsstufe sich der Trainingspartner befindet, um so seine Technikintensität an diesen anzupassen. So ist beispielsweise ein Träger des gelben Gürtels (5. Kyū) aufgrund geringerer Erfahrung wesentlich vorsichtiger zu werfen als ein Träger eines braunen Gürtels (1. Kyū).
Die jeweiligen Gürtelfarben und deren Bezeichnung haben sich im Laufe der Zeit stetig verändert. Darüber hinaus bestehen Unterschiede in den jeweiligen Kampfkünsten.
Gürtelfarben
Die Farben der Gürtel haben in China und Japan andere Bedeutungen als bei uns in Europa. So sind weiß und schwarz die ewigen Farben, die es anzustreben gilt. Hierbei symbolisiert weiß den Anfang und schwarz das Ende. Die bunten Farben sind die vergänglichen Farben – dies spiegelt sich letztendlich auch in der Umsetzung im Kyū-Dan-System wider, da es sich hier nur um eine kurze, vorübergehende Phase auf dem Weg (jap. dō) handelt.
Die Schülergrade
Mit Beginn des ersten Trainings erhält der Schüler den 6. Kyū. Dieser wird meistens durch das Tragen des weißen Gürtels im Training dargestellt. Dem Schüler werden im Laufe seiner Entwicklung bestimmte Eigenschaften und Erkenntnisse zugesprochen.
6. Kyū – Nanakyū (weißer Gürtel)
- Unbefleckte Farbe, der Träger ist noch unwissend.
- Anfänger, Schnee liegt auf der Landschaft.
- Der Lehrer sieht den Schüler nicht. Der Schüler sieht den Lehrer nicht.
5. Kyū – Rokkyū (gelber Gürtel)
- Charakterisiert den Erdboden als Anfang, auf dem das Folgende wächst.
- Der Schnee schmilzt und die gefrorene Erde leuchtet gelb.
- Der Lehrer sieht nicht, ob der Schüler fruchtbar ist. Der Schüler sieht nicht, ob aus dieser Lehre für ihn eine Frucht wachsen wird
4. Kyū – Yonkyū (orangener Gürtel)
- Symbolisiert die Sonne: Die Früchte sprießen und die Saat geht auf.
- Die Sonne erwärmt die fruchtbare Erde
- Der Lehrer sieht noch keine Frucht. Der Schüler keimt, kann aber noch nichts.
3. Kyū – Sankyū (grüner Gürtel)
- Es sind bereits Früchte entstanden.
- Der Samen keimt, das Pflänzchen gedeiht.
- Der Lehrer sieht, der Schüler versteht. Der Schüler erkennt die Wirkung der Lehre.
2. Kyū – Nikyū (blauer Gürtel)
- Blau stellt den Himmel dar. Eine Grenze ist erreicht, was nun zu Höherem befähigt.
- Die Pflanze wächst zum Himmel und wird langsam stark.
- Der Lehrende sieht das Leben seines Samens. Der Schüler sieht die Tiefe der Lehre.
1. Kyū – Ikkyū (brauner Gürtel)
- Alle Farben vereinigen sich (etwas Großes ist im Kommen).
- Der Baum hat eine starke Borke und ist jetzt ausgewachsen.
- Der Lehrer sieht den Beginn selbstständigen Lebens. Der Schüler sieht, fest gewachsen, den ersten Gipfel in der Ferne.
Die Meistergrade
Der erste Schritt ist geschafft! Meistens dauert der Weg vom ersten Training bis hin zum ersten schwarzen Gürtel (jap. Kuro Obi) zwischen 6 und 10 Jahren. Während zu Beginn des Trainings der schwarze Gürtel oft als ultimatives Ziel angesehen wird, so soll der Schüler auf dem Weg dorthin lernen, dass dieser nur der ersten Schritt auf dem Weg zum wahren Meister ist. Der Weg ist das Ziel, nicht der Gürtel. Auch kann er jederzeit seine Techniken weiter perfektionieren und ausbilden.
Die technische Komplexität und Vielfalt erfordert dem Jiu-Ka zu Beginn all seine Geduld und Konzentration. Er kommt anfangs nur sehr mühsam voran, weil er völlig neue Bewegungen erlernt und lange braucht, die Grundtechniken
umzusetzen.
Die Dan-Grade selbst sind in technische Meistergrade (Yudansha: 1. Dan – 4. Dan) und geistige Meistergrade (Kodansha: 5. Dan – 10. Dan) gegliedert.
1. Dan – Shodan (schwarzer Gürtel, optional ein goldener Streifen)
Der Shodan symbolisiert den Abschluss der Grundausbildung. Hier beginnt der tiefgründige Weg des Budō, und dies ist nicht mit der Meisterschaft in einer Budō-Disziplin zu verwechseln. Dieser Grad berechtigt zum Tragen des schwarzen Gürtels und ist der erste Meistergrad. Man nennt ihn auch Grad des Suchenden. Sho = klein, Dan = Grad "Der suchende Schüler nach dem Weg" Dieser Dan-Grad ist derjenige, der als "Suchender nach dem Weg" bezeichnet wird. Er hat durch mehrjährige Übung sein in der inneren Haltung sichtbar gewordenes Potential entwickelt, und er erkennt zunehmend, dass hinter der körperlichen Übung ein Weg zu höherem als der reinen Beherrschung der Technik steht. Aber er ist doch noch ein "Suchender", weil er nur Vorahnungen von all dem haben kann. Sein Interesse, in der Verbindung von Geist und Technik eine Herausforderung zu sehen, seine Bereitschaft, sich auf mehr einzulassen, zeichnen den ersten Schwarzgurt aus. Dennoch besteht gerade jetzt die Gefahr, dass sein Geist sich ausruht und zufrieden ist, mit dem, was er glaubt, schon erreicht zu haben.
2. Dan – Nidan (schwarzer Gürtel, optional zwei goldene Streifen)
Der Schüler steht noch am Anfang des Weges und hat nun die Bedingungen des Weges durch seine rechte Haltung verstanden. Er hat sich noch nicht endgültig entschlossen, den Weg mit all seinen Hindernissen zu gehen, weiß aber, worauf es ankommt. Dieser Dan-Grad wird als der Grad des "Schülers am Anfang des Weges" verstanden. Er weiß bereits mehr, worauf es ankommt und seine innere Haltung bezeugt dies. Seine intensive Praxis und sein Studium des Weges befähigen ihn, über den vordergründigen Kampfkunst-Kontext im Dōjō hinaus die Kunst zu verstehen, sogar zunehmend auf weitere Lebenssituationen zu übertragen. Am Anfang des Weges angelangt, erkennt er, was auf ihn wartet, aber er weiß auch, wie schwer es noch wird. Der 2. Dan läuft Gefahr, diesen Anforderungen auszuweichen, sich nicht mehr als Schüler zu begreifen und sein Verständnis zu überschätzen. Auch mag ihn sein gutes technisches Können verleiten, sich zu profilieren. Wenn er diese Hürde nicht nimmt, vergibt er sich damit die Chance, wirklich weiterzukommen.
3. Dan – Sandan (schwarzer Gürtel, optional drei goldene Streifen)
Dieser Dan-Grad ist der Grad des "anerkannten Schülers" und bezeugt die Stufe, auf der der Schüler nun unwiderruflich fest entschlossen ist, den Weg bis ans Lebensende zu gehen. Erst jetzt gibt es keine unüberwindbaren Hürden mehr und nichts, das ihn von seinem weiteren Weg abbringen könnte. Seine Treue gegenüber dem Stil (Ryū), dem Weg (Dō), der Schule (Dōjō) und dem Lehrer (Sensei) haben Kopf, Herz und Hand gleichermaßen gestärkt. Jiu-Jitsu ist ein wesentlicher Teil und alles durchdringender Aspekt seines Lebens geworden. Immer mehr und immer häufiger beginnt er auch, den Meister, der in ihm selbst steckt, zu spüren, zum Vorschein zu bringen. Nicht nur seine technische Expertenschaft, sein Wissen und echtes Verstehen, sondern vor allem seine innere Haltung befähigt ihn, eine gewisse Unabhängigkeit und Freiheit, vielleicht sogar eine persönliche Interpretation zu entwickeln.
4. Dan – Yodan (schwarzer Gürtel, optional vier goldene Streifen)
Grad des technischen Experten. Er hat nun die technischen und körperlichen Grenzen erreicht und weiß nun, dass er sich auf einer anderen Ebene des Budō-Weges neuen Herausforderungen stellen muss. Der Yondan identifiziert sich nun vollkommen mit der Kunst, die er seit Jahren übt, indem er die Budō-Philosophie und die Budō-Technik miteinander so verbindet, dass er nun in der Lage ist, Fortschritte in der inneren Perfektion zu suchen und zu finden. Der Yondan ist die Vorstufe zur wahren Meisterschaft. Nun steht er vor dem Tor zur echten Budō-Meisterschaft. Dieser Dan-Grad ist nun endlich der Grad des "technischen Experten". Er identifiziert sich völlig mit dem Weg. Er hat die Theorie und die Praxis des
Jiu-Jitsu verinnerlicht, er lebt danach. Er ist in jeder Hinsicht kompetent, glaubwürdig und vorbildlich. Von nun an hat er nicht nur Autorität, sondern er ist Autorität.
5. Dan – Godan (schwarzer Gürtel, optional fünf goldene Streifen)
Dieser Grad setzt nicht nur eine entsprechende Budō-Erfahrung, sondern auch Lebenserfahrung voraus. Er zeugt von einem hohen Maß an Wissen, Lebenserfahrung, Gefühl und innerer Haltung. Das Jiu-Jitsu ist nun zu seinem Lebensprinzip geworden. Der "Kodansha" ist nun nicht mehr "Schüler", er ist nun ein wahrer Meister und identifiziert sich völlig mit dem Weg. Er hat Theorie und Praxis vollumfänglich verinnerlicht und ist bestrebt auch im Alltag nach diesen Prinzipien zu leben. Er ist in jeder Hinsicht kompetent, glaubwürdig und vorbildlich und kennt die philosophischen Aspekte des Jiu-Jitsu. Von nun an ist er eine bedeutende Autorität – Meister mit Herz, Geist, Seele.
6. Dan – Rokudan (rot-weißer Gürtel, optional sechs goldene Streifen)
Es gilt immer noch, sich in allen Budō-Angelegenheiten wie zuvor zu bemühen. Das betrifft sowohl die körperliche Übung wie auch die geistige Übung.
7. Dan – Nanadan (rot-weißer Gürtel, optional sieben goldene Streifen)
Es ist dem 7. Dan klar, dass er auch die körperliche Übung nicht allein durch die geistige Übung ersetzen kann und übt daher immer noch täglich alle Techniken seines Systems.
8. Dan – Hachidan (rot-weißer Gürtel, optional acht goldene Streifen)
Auch der Hachidan weiß um die technische Übung bis ins hohe Alter. "Wer rastet, der rostet". Im Budō gibt es kein vorzeitiges Pensionsrecht oder Ruhestand, denn die Übung geht bis ins hohe Alter, ja bis zum Lebensende.
9. Dan - Kudan (roter Gürtel, optional neun goldene Streifen)
Für den 9. Dan sind all sein Verhalten und seine Handlungen Ausdruck von Einklang zwischen Innen und Außen und in Harmonie mit den kosmischen Kräften. Er öffnet jenen das Tor zu den Budō-Geheimnissen, die über jede Form der Technik hinausgewachsen sind.
10. Dan - Judan (roter Gürtel, optional zehn goldene Streifen)
Diese Graduierung ist frühestens ab einem Lebensalter on 70 Jahren möglich. Die letzte Transzendenz! Ishin - denshin = "von Herz zu Herz"
Quelle: Jiu-Jutsu Technikfibel (Spickhoff / Kühn / Hahner / Jänicke)